Sollen Banken künftig nur noch dann Kredite vergeben dürfen, wenn sie Bargeld in derselben Höhe auf Lager haben? Zwei IWF-Forscher haben die Folgen solch eine Radikalreform untersucht und kommen zu dem Schluss: Das würde Wirtschaftsleistung und Wohlstand ankurbeln.

London. Der Ökonomie-Nobelpreisträger Milton Friedman war von der Idee überzeugt, der Freiburger Ökonom Walter Eucken ebenso und der Yale-Professor Irving Fisher erst recht: Um das Finanzsystem stabil und sicher zu machen, solle der Staat Banken verbieten, im Zuge ihrer Kreditvergabe einfach neues Geld in Umlauf zu bringen. Ein Geldinstitut dürfe nur dann ein neues Darlehen vergeben, wenn es im gleichen Ausmaß über Bargeldreserven verfüge, forderten prominente Ökonomen in den 30er- und 40er-Jahren.
Das würde das Geschäftsmodell von Banken fundamental verändern. Bislang müssen Geldinstitute nur für einen Bruchteil ihrer Kredite Bargeldreserven halten. So können sie quasi unbegrenzt Kredit vergeben – und dabei de facto neues Geld schaffen. Denn den Kredit zahlen sie aus, indem sie dem Kreditnehmer das Geld auf einem Girokonto gutschreiben. Und der Kreditnehmer bringt dieses Bankengeld, das es vorher noch nicht gab, in Umlauf, indem er seine Rechnungen damit bezahlt.
In den 30er-Jahren sahen einflussreiche US-Ökonomen wie Fisher diese wundersame Geldvermehrung als zentralen Auslöser der Großen Depression identifiziert. Die Forscher forderten die Anhebung der Mindestreservepflicht der Banken auf 100 Prozent.
Seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise erlebt die Idee des sogenannten Vollgelds eine Renaissance. In der Schweiz will der Verein Monetäre Modernisierung um den Ökonomen Hans Christoph Binswanger eine Volksabstimmung darüber durchsetzen.
In Deutschland fordert eine Initiative namens „Monetative“ um den Wirtschaftssoziologen Joseph Huber (Uni Halle) ebenfalls: „Alles Geld soll ausschließlich von einer unabhängigen öffentlichen Stelle geschöpft werden.“
Schützenhilfe bekommen die Vollgeld-Befürworter jetzt aus der Forschungsabteilung des Internationalen Währungsfonds (IWF). Zwei Volkswirte des Fonds stellen der Idee in einer neuen Studie ein gutes Zeugnis aus. Sie würde die Gefahr von Bankenkrisen eindämmen und das Wirtschaftswachstum deutlich beflügeln. Wegen all dieser Vorteile sei die Idee eine „höchst wünschenswerte Initiative“, schreiben die IWF-Volkswirte Jaromir Benes und Michael Kumhof.
AKTUELLE FORSCHUNG
Die Studie mit dem Titel „The Chicago Plan Revisited“ ist als IWF-Arbeitspapier erschienen und spiegelt nicht notwendigerweise die Position des Fonds wider. Allerdings unterliegen IWF-Arbeitspapiere vor ihrer Veröffentlichung einer strengen internen Qualitätskontrolle – die Arbeit wurde von Douglas Laxton, dem Chef der IWF-Forschungsabteilung „Ökonomisches Modellieren“, zur Veröffentlichung freigegeben.
Der „Chicago Plan“ wieder aufgegriffen
Ausgangspunkt der IWF-Ökonomen ist der sogenannte „Chicago Plan“ aus den 1930er-Jahren. Darin sprachen sich zahlreiche damals führende US-Ökonomen dafür aus, den Banken aufzuerlegen, alle Guthaben, die sie einräumen, zu hundert Prozent mit Zentralbankgeld zu decken. „Der Kern der Idee ist es, das Geld unabhängig von Krediten zu machen“, argumentierte Irving Fisher damals. „Wir trennen den Prozess der Schaffung und Vernichtung von Geld vom Bankgeschäft ab.“ US-Präsident Franklin Roosevelt prüfte die Idee ernsthaft, letztlich scheiterte sie aber am Widerstand der Bankbranche.
Welche Folgen hätte die Umsetzung der Idee? Die IWF-Volkswirte Jaromir Benes und Michael Kumhof beantworten diese Frage mit den Methoden der modernen Makroökonomie. In einem gängigen makroökonomischen Modell, das sie mit Daten für die US-Wirtschaft gefüttert haben, simulieren sie die Folgen einer solchen Reform.
Das Ergebnis ist bemerkenswert: Die Argumente, die die US-Ökonomen in den 30er-Jahren anführten, bestätigen sich dabei auf ganzer Linie. „Der Chicago-Plan würde die Konjunkturausschläge nach oben und unten erheblich eindämmen, Bank-Runs, bei denen besorgte Kunden die Bank stürmen und ihr Geld abheben wollen, vollständig verhindern und zu einer erheblichen Reduzierung der privaten und öffentlichen Schulden führen“, so das Fazit. Das führe zu enormen Wohlstandsgewinnen – die Wirtschaftsleistung steige um bis zu zehn Prozent, zeigen die Simulationsrechnungen der Forscher.
Die Studie markiert ein radikales Umdenken in der etablierten Makroökonomie. In den vergangenen Jahrzehnten hatte die Disziplin Banken lediglich als Vermittler zwischen Sparern und Investoren gesehen. Dass Geldinstitute selbst Geld schaffen können, indem sie Kunden Kredite einräumen, blendete das Fach aus. „Die entscheidende Bedeutung dieses Faktors ist in der modernen makroökonomischen Literatur fast vollständig verloren gegangen“, schreiben die IWF-Volkswirte.
Eine der wenigen Ausnahmen ist Richard Werner von der University of Southampton in Südengland. Inspiriert von den Erfahrungen Japans in den 90er-Jahren, die er bei der Bank von Japan studiert hat, betont er die Bedeutung der Geldschöpfung durch private Banken für das Entstehen von Spekulationsblasen. „Es ist zwingend, dass die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger die Kreditvergabe im Auge behalten und intervenieren, wenn die Kredite für unproduktive, spekulative Zwecke verwendet werden“, schrieb Werner schon vor knapp 20 Jahren.